Wie fällt eine Bilanz nach zwei Jahren OutInChurch aus?

"Wir haben noch einen langen Weg vor uns"

Vor zwei Jahren haben sich mit der Initiative #OutInChurch über 100 Mitarbeitende der Kirche geoutet. Was hat sich seitdem in der katholischen Kirche geändert? Und welche Auswirkungen sind beim kirchlichen Arbeitsrecht zu spüren?

Mitglieder der Initiative #outinchurch (Archiv) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Mitglieder der Initiative #outinchurch (Archiv) / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Seit Ende 2022 haben sich die Bischöfe darauf geeinigt, dass niemand mehr im kirchlichen Dienst entlassen werden kann, weil er oder sie in einer Homoehe lebt oder wiederverheiratet ist. Haben das alle Bischöfe in ihren Bistümern umgesetzt?

Bruno Schrage (Caritas Köln)

Bruno Schrage (Referent für Caritaspastoral beim Diözesancaritasverband im Erzbistum Köln): Das haben alle umgesetzt und dem haben alle zugestimmt. Das hat damit zu tun, dass dieses Arbeitsrecht nur funktioniert, wenn es simultan von allen umgesetzt wird. Man spricht deshalb auch von Simultangesetzgebung.

Diese Gesetzgebung, muss sich in den Schranken des öffentlichen, des weltlichen Rechts bewegen. Die Kirchen haben damit ein Sonderrecht in Deutschland – und das auch nur in Deutschland. Es besagt, dass sie ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht haben.

Bruno Schrage

"Es kann eine Chance, aber wie sich gezeigt hat, auch ein Instrument der Diskriminierung sein." 

Sie haben eine besondere Verantwortung. Es kann eine Chance, aber wie sich gezeigt hat, auch ein Instrument der Diskriminierung sein. Die 125 Kolleginnen und Kollegen, die den Mut gehabt haben, endlich aufzustehen und die Doppelmoral aufzulösen, sind für mich immer wahre Zeuginnen und Zeugen des Glaubens in dieser Kirche. Die verdienen tiefsten Respekt.

DOMRADIO.DE: Welche Gründe gibt es dafür, dieses besondere Arbeitsrecht in Deutschland für kirchliche Mitarbeitende zu erhalten?

Schrage: Es ist zu diskutieren, ob wir dieses kirchliche Arbeitsrecht brauchen. Wir haben zum Beispiel auch ein kirchliches Datenschutzrecht und wir haben gewisse Sonderrechte im Bereich des Religionsunterrichts. 

Vor der Basilika von Vierzehnheiligen weht eine Regenbogenfahne / © Nicolas Armer (dpa)
Vor der Basilika von Vierzehnheiligen weht eine Regenbogenfahne / © Nicolas Armer ( dpa )

Die katholische Kirche in Deutschland galt aus der Geschichte des Nationalsozialismus heraus als Wertegarant. Die Adenauerära war sozusagen der Transmissionsriemen, um den Kirchen ein besonderes Recht zu geben, dass man sie als Identitätsstütze einer Demokratie und Werteinstitution nutzen kann. 

Das ist heute im europäischen Rahmen so nicht mehr durchzuhalten. Arbeitsrecht heißt Schutzrechte für Arbeitnehmer. Es ist kein Recht, um Identitätsentwicklungsprozesse zu schützen. 

Bruno Schrage

"Dann brauchen wir kein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, sondern eher einen Code of Conduct."

Wenn wir heute Menschen auf der Grundlage der neuen Grundordnung im Sinne der Diversität, der Vielfalt einstellen, wenn uns jeder herzlich willkommen ist, der an diesem sozialen Projekt Kirche, an dieser Zivilisation der Liebe mitbauen will, dann brauchen wir kein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, sondern eher einen "Code of Conduct". Was sind unsere Verhaltenskodizes? Was sind unsere Werte, unsere Ziele? So steht es jetzt auch in der Grundordnung. 

Ich bin selber mittlerweile etwas hin und hergerissen. Es gibt einen zweiten Grund, warum wir dieses kirchliche Arbeitsrecht immer noch gerne haben.

Das ist sozusagen der kollektive Bereich. Das ist der dritte Weg, weil wir hier einen konsensualen, besonderen Weg haben. Allerdings dann unter Ausschluss des Streikrechts.

Bruno Schrage

"Das Thema hat sich in der katholischen Kirche überhaupt nicht erledigt."

DOMRADIO.DE: Es hat auch im kirchlichen Arbeitsrecht eine Verbesserung gegeben. Würden Sie sagen, das Thema hat sich damit erledigt?

Schrage: Das Thema hat sich in der katholischen Kirche überhaupt nicht erledigt. Das merken wir an den aktuellen Verlautbarungen, wie "Fiducia supplicans" oder zur Würde des Menschen, wo wir merken, dass die katholische Morallehre binär bleibt. 

Deshalb hat sie nach wie vor ausschließenden Charakter. Wenn im Katechismus steht, dass sexuelle Praktiken homosexueller Menschen in sich nicht in Ordnung sind, dann merken wir, dass wir noch einen weiten Weg in dieser katholischen Kirche vor uns haben. 

Wenn man weiß, dass 31 von 54 Staaten in Afrika eine Gesetzgebung haben oder beabsichtigen, die LGBTQ-Menschen zu diskriminieren und unter Strafverfolgung zu setzen, müssten wir als katholische Kirche viel deutlicher für diese Menschen eintreten und sie als Geschöpfe Gottes, so wie sie sind, anerkennen.

DOMRADIO.DE: Sie haben das Schreiben "Fiducia supplicans" erwähnt. Katholische Priester dürfen nun auch homosexuelle Paare segnen. Das hat der Vatikan im Dezember erlaubt. Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, sagen Sie, aber es reicht nicht aus. Darüber wollen Sie auch heute Abend im Kölner Domforum diskutieren.

Schrage: Na ja, es ist nicht wirklich eine Segnung ausgesprochen worden.

In der Flüchtlingspolitik hören wir gerade in England, dass es irreguläre Flüchtlinge gibt, die nach Ruanda abgeschoben werden dürfen. Bei uns gibt es irreguläre Beziehungen. Das sind nach der katholischen Morallehre gleichgeschlechtliche Beziehungen. 

Die sollen gesegnet werden wie in einem kleinen Exorzismus to go. Kardinal Fernandez (Präfekt der Glaubenskongregation, An. d. Red,) hat erklärt, dass die Priester einfach sagen sollen, dass Gott sie von allem befreie, was dem Evangelium entgegensteht. Ich finde das ist kein Segen und keine Wertschätzung. 

Das ist keine Zusage der Liebe Gottes in diese Beziehung hinein. Insofern haben wir noch einen langen Weg vor uns. Heute Abend werden wir darüber diskutieren können. Ich freue mich, dass auch der Kölner Generalvikar dabei sein wird. Ich glaube, es wird eine interessante und spannende Diskussion.

Bruno Schrage

"Jetzt arbeiten wir weiter und ich glaube, da haben wir noch etwas vor."

DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihre persönliche Bilanz von zwei Jahren #OutInChurch aus?

Schrage: Wir haben gute erste Schritte gemacht. Wenn in der Grundordnung im Prinzip steht, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Nationalität, ihrer Herkunft, ihrer Religionszugehörigkeit, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung und von ihrer Behinderung, ihrer Lebensform am Arbeitsplatz in all diesen Formen Repräsentanten der Liebe Gottes sind, dann ist das ein Riesenschritt nach vorne gewesen. Das ist gut. Jetzt arbeiten wir weiter und ich glaube, da haben wir noch etwas vor.

Das Interview führte Elena Hong.

#OutInChurch

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich 125 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative "#OutInChurch - für eine Kirche ohne Angst" mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, "dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität" nicht zur Kündigung führe. (KNA, 24.1.2022)

 © Julia Steinbrecht (KNA)
© Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR